Frühere negative Erlebnisse können zu Gedanken führen, welche, auch in später erlebten, ähnlichen Situationen, unser Verhalten negativ beeinflussen können. Diese Gedanken, man könnte sogar sagen Vorurteile, kommen automatisch vor, und werden meistens kaum von uns hinterfragt. Sie werden als Tatsachen hingenommen und können zu einer Reihe von negativen Gefühlen, wie u.a. Traurigkeit, Angst, oder Hilfslosigkeit, führen. Diese wiederum, bekräftigen unsere automatisch auftauchenden Annahmen und verstärken uns in unserem bis jetzt durchgeführten Verhalten.
Einer meiner Lieblingsgeschichten, die über den Zusammenhang zwischen einem früheren negativen Erlebnis mit den möglichen assoziierten Gedanken und Verhalten berichtet, habe ich, vor einigen Jahren, in dem Buch: „Komm, ich erzähl dir eine Geschichte“, von Jorge Bucay gelesen. Diese geht wie folgt.
Unsere Geschichte spielt in einer früheren Zeit, wo es üblich war, im Zirkus exotische Tiere, wie Elefanten, Löwen oder Tiger, auftreten zu lassen.
In der Geschichte geht es um einen kleinen Jungen, der, wie auch andere Jungen und Mädchen, dem Zauber des Zirkus verfallen war. Die atemberaubenden Kunststücke der Artisten, die bunten Kostüme der Clowns, die mitreißende Musik der Zirkusband, der besondere Duft der Leckereien am Buffet, die feenhafte Beleuchtung. All das hinterließ bei dem Jungen einen tiefen Eindruck, den man mit dem Wort „Magie“ am besten beschreiben könnte.
Am meisten gefielen ihm aber die Nummern mit den Tieren, und ganz besonders die mit den Elefanten. Er staunte immer wieder über die Darbietungen der Elefanten, die zur Musik ihren massiven Körper schwangen, beziehungsweise ihre Kraft zur Schau stellten, oder Balance-Kunststücke, welche ihre massive Form und ihr Gewicht zur Geltung brachten, ausführten. Der Junge war so fasziniert von diesen Tieren, dass er auch keine Möglichkeit vermied, die Elefanten vor bzw. nach der Vorstellung zu besuchen.
Dem Jungen war es ein Rätsel, dass diese imposanten Tiere, ja man könnte sogar „Kolosse“ sagen, welche so gekonnt, während der Vorstellung, ihre Größe, Kraft und Gewicht zur Schau stellten, durch das Anketten an einem Pflock, vor, sowie nach der Vorstellung, in ihrem Quartier gehalten werden konnten. Der Pflock wirkte, trotz der massigen Kette, im Vergleich zur Körpergröße des Elefanten, klein, sogar winzig. Eigentlich sollte es ein leichtes sein, die Kette aus dem erdigen Boden herauszureißen und wegzulaufen. Was hinderte den Elefanten dies zu tun, fragte sich der Junge. Und wie Jungen eben sind, begann er alle die er kannte, nach einer Antwort zu fragen. Ob Vater, Mutter, Lehrerin, Onkel, oder Tante, die er fragte, erhielt der Junge, seiner Meinung nach, keine vernünftige Antwort. „Der Elefant sei dressiert“, sagten sie ihm und hofften das Thema somit abschließen zu können. Aber Jungen geben nicht leicht nach und sind gewohnt alles auf das penibelste zu hinterfragen. "Wenn er dressiert ist, warum muss man ihn weiterhin anketten?", fragte er. Die Antwort blieben ihm aber die Erwachsenen schuldig.
Die Jahre vergingen und der Junge erhielt, trotz mehrmaligem fragen, keine vernünftige Antwort. Der Junge reifte zum Jugendlichen heran, aber das Thema ließ ihn nicht ruhen. Interessant war, dass er auch andere Leute inzwischen traf, die sich dasselbe fragten. Eines Tages erhielt er jedoch eine Antwort, die für ihn Sinn ergab und das Rätsel löste.
Der Elefant flieht nicht, da er schon seit frühester Kindheit an einen solchen Pflock angekettet ist, hieß die Antwort.
Unser Junge, der mittlerweile ein reifer Mann war und einiges an Lebenserfahrung gewonnen hatte , konnte nun das Verhalten des Elefanten erklären. Er stellte sich den kleinen Elefanten vor, der, kurz nach der Geburt, an eine große, schwere Kette und an einen Pflock angekettet wurde. Er sah, vor seinen inneren Augen, wie der kleine Elefant mit all seiner Kraft, die Kette abzuwerfen versuchte. Er zerrte bis zur Erschöpfung, aber obwohl er es täglich versuchte, konnte er sich von der Kette nicht befreien. Und so eines Tages hörte er auf es zu versuchen. Er akzeptierte die Tatsache, dass er die Kette nicht aus dem Boden reißen kann und fügte sich in sein Schicksal.
Dieser Gedanke blieb über die Jahre bestehen, trotz der Zunahme an Größe, Kraft und Masse. Deswegen versuchte, der nun ausgewachsene Zirkus-Elefant, überhaupt nicht mehr die Kette abzuschütteln. Er hinterfragte seine Gedanken nicht mehr. Er versuchte nicht erneut seine Kraft, um die Kette herauszureißen. Und so blieb er, hinter dem Zirkuszelt, an den mittlerweile winzigen Pflock, angekettet.
So wie dem Zirkuselefanten, kann es jedem von uns ergehen. Jeder von uns hat in seiner Kindheit oder Jugendzeit Situationen erlebt, wo er oder sie enttäuscht, bzw. verletzt wurde, oder versagt habe. Und die damaligen Schlussfolgerungen und Gedanken, tauchen später erneut auf und hindern uns daran es erneut zu versuchen. „Du schaffst es nicht!“, „Du kannst es nicht!“, „Du bist nicht fähig dazu!“. Wir müssen lernen diese automatischen Gedanken, sobald sie auftauchen, zu hinterfragen und mutig es erneut zu versuchen. Menschen ändern sich, Situationen gleichen sich nie.
Deswegen muss man mutig sein und stetig sein Bestes geben, um seine Träume bzw. Wünsche, erreichen zu können.
Quelle: Bucay Jorge. Komm, ich erzähle dir eine Geschichte. Fischer Verlag, 2008, Seiten 7-10.
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